Über den Strich nach Kuba
Wenn ein Chormitglied nach dem Stimmbruch das erste Mal wieder den Türcode am Eingang des Chorheims eingibt, werden unwillkürlich Erinnerungen an Konzertreisen, gemeinsame Erlebnisse und die besondere Choratmosphäre wach. Diese jedoch sind bei dem einen oder anderen über die Phase des Stimmbruches und der oftmals damit verbundenen kulturellen Rebellion in weite Ferne gerückt.
Der eine verbrachte seine künstlerische Schaffenspause in der Nordkurve bei Hannover 96, der andere entdeckte sein Faible für Metall-Musik. Trotzdem werden die schönen Erinnerungen sofort wieder zum Leben erweckt und vermischen sich mit der freudigen Erwartung zukünftiger Erlebnisse dieser Art – am liebsten würde man sofort mit den Freunden an alte Zeiten anknüpfen.

Doch ganz so einfach ist es nicht: Den Eintritt in die Konzertmannschaft gibt es selbstverständlich auch als Männerstimme nicht geschenkt. Auch ein aus der Knabenzeit gut geschulter Sänger muss den Umgang mit der »neuen« Stimme erst wieder trainieren, um dem Qualitätsanspruch der Konzertmannschaft gerecht werden zu können. Eine Vergangenheit als Knabensolist ist da noch lange keine Freikarte. Und so entwickelt sich mit der Zeit eine immer stärker werdende Sehnsucht nach einem Stammplatz in der Konzertmannschaft.

Um diesen Wunsch möglichst schnell erfüllen zu können, werden die »frischen« Stimmen besonders intensiv gefördert: Die meist 14- bis 16-Jährigen erhalten zusätzlich zu den üblichen Proben eine Stunde gesonderten Unterricht bei Stimmbildner Nils Ole Peters, in denen weniger das Einstudieren des Repertoires als viel mehr die Festigung der Stimme im Vordergrund steht.

Der zeitliche Mehraufwand zahlt sich jedoch erst auf lange Sicht aus. Das birgt zweifellos auch Frustrationspotenzial. Denn statt auf Kuba, in Leipzig oder in Nürnberg wird zunächst nur bei Gottesdiensten und Weihnachtskonzerten in der Marktkirche erste Bühnenluft als Männerstimme geschnuppert. Es gilt, den im Chorjargon so oft bemühten »Strich« auf der Liste der Männermannschaft, der die Grenze zwischen jungen Männerstimmen und Konzertmannschaft aufzeigt, möglichst schnell und erfolgreich zu überqueren. Wenn auch die Dauer dieses Prozesses variiert, lässt sich doch sagen: Einsatz wird belohnt! Die erste Konzertreise als Männerstimme, wie zum Beispiel nach Kuba, entschädigt für eine anstrengende Ausbildungsphase.

Auf solch einer großen Reise warten jedoch auch Pflichten, die Knabenstimme nur indirekt wahrgenommen haben. Neben der gewohnten Rolle als Sänger kommt jetzt eine neue hinzu: die des Betreuers. Freizeitgestaltung mit den zu betreuenden Knaben, Rat und Hilfe bei der Verwaltung von Reisepässen und Flugtickets, aber auch Trost bei Heimweh sind nur einige Beispiele aus dem neuen Aufgabenfeld. Als Männerstimme sind vor allem Selbstständigkeit und Hilfsbereitschaft extrem wichtig. Auch Aufgaben wie das Aufstellen und Transportieren der Podeste sowie das Kontrollieren der korrekten Konzertkleidung beim »Abenddienst« im Rahmen eines Konzertes werden von Männerstimmen übernommen. Das Männerstimmendasein besteht jedoch nicht nur aus Pflichten und Verantwortung: Nach dem Stimmbruch eröffnet sich eine Fülle neuer Freiheiten, auf die wohl jeder Knabe schon des Öfteren neidisch herübergeschielt hat. Wer kann schließlich von sich behaupten, dass er nicht gern einmal mit kubanischen Erfrischungsgetränken und einer Zigarre in der Hand das Nachtleben Havannas erleben würde?

Quelle: KNABENCHOR HANNOVER CHORMAGAZIN, Ausgabe 7

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